Global Digital CompactOrganisationen warnen vor Ende der politisch neutralen Internetverwaltung

Wichtige Internetorganisationen kritisieren den Global Digital Compact der Vereinten Nationen. Die geplante Übereinkunft sieht vor, technische Expert:innen nicht länger als eigenständige Stimme in der Internetverwaltung einzubeziehen. Die UN gefährde damit das offene Netz, mahnen auch deutsche Nichtregierungsorganisationen.

Ein gelbes Graffiti auf blauem Grund, das den Aufruf "Stay connected"
Ein offenes, interoperables Internet ist eine wichtige Voraussetzung, um miteinander verbunden zu bleiben. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Ehimetalor Akhere Unuabona

Das Internet ist ein weitgehend selbstverwalteter Ort, relativ unabhängig von Staaten und Regierungen. Das hat viel mit der Geschichte des Internets zu tun, das als Netzwerk zwischen Wissenschaftler:innen entstand. Aus der sogenannten technischen Community heraus gründeten sich jene Organisationen, die bis heute maßgeblich für die Verwaltung des Netzes zuständig sind.

In einem aktuellen Blogpost äußern Vertreter:innen dreier großer Internet-Verwaltungsorganisationen die Befürchtung, dass die Vereinten Nationen dieser bewährten Form der Selbstverwaltung ein Ende bereiten könnte, was die offene, interoperable Struktur des Internets selbst bedrohe. Konkret kritisieren sie den Global Digital Compact (GDC) der UN als „einen von oben gesteuerten Versuch, die Rolle der technischen Gemeinschaft zu minimieren“ und das „gut etablierte Multi-Stakeholder-Modell der Internet-Verwaltung“ neu auszurichten.

ICANN, APNIC und ARIN zeigen sich besorgt

Der Global Digital Compact ist eine Initiative des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, António Guterres, der den Prozess dafür in seinem Bericht „Our Commons Agenda“ einläutete. In der ersten Hälfte dieses Jahres fanden weltweit Konsultationen statt, an denen Regierungen und verschiedene Interessengruppen teilnahmen. Sie behandelten unter anderem Themen wie digitale Inklusion, Datenschutz, Sicherheit und KI. Die dort eingereichten Meinungen soll in ein erstes Thesenpapier einfließen, das derzeit erstellt und im Herbst dieses Jahres auf einer UN-Minister:innenkonferenz in New York verhandelt werden. Auf einem Zukunftsgipfel der UN im September 2024 soll der GDC dann final verabschiedet werden.

Das Ergebnis ist zwar kein verbindlicher Völkerrechtsvertrag, soll aber die Regierungen weltweit stärker in die Pflicht nehmen, die im Jahr 2015 verabschiedeten globalen Nachhaltigkeitsziele umzusetzen – auch im Bereich des Digitalen. Im Fokus stehen dabei „Grundsätze, Ziele und Maßnahmen zur Förderung einer offenen, freien, sicheren und auf den Menschen ausgerichteten digitalen Zukunft“.

Mit den sich abzeichnenden Plänen sind die Autor:innen des Blogposts jedoch alles andere als einverstanden. Das sind namentlich Sally Costerton, CEO der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN), Paul Wilson, CEO des Asia Pacific Network Information Centre (APNIC) und John Curran, Generaldirektor der American Registry for Internet Numbers (ARIN).

Nicht zuletzt diese drei Organisationen bilden eine tragende Säule bei der technischen Selbstverwaltung des globalen Internets. Die Domainverwaltung ICANN ist die wohl bekannteste von ihnen. In der Vergangenheit gab es unter anderem wegen der Nähe zur US-Regierung immer wieder Kritik an ihr; bis September 2015 war die Organisation dem US-Handelsministerium unterstellt. ICANN legt Internetadressen oberster Ordnung fest, die sogenannten Top Level Domains (TLD). Hierzulande sind das Domains mit der Endung „.de“. Das APNIC ist die Regional Internet Registry für die Region Asien und den Pazifik. Sie betreut IP-Adressen, AS-Nummern und andere Netzwerkressourcen. ARIN übernimmt ähnliche Aufgaben für den nordamerikanischen Raum.

Alle drei Organisationen befürchten, dass der GDC technische Expert:innen als eigenständige Stimme in der Internetverwaltung ausschließen will. Einen solchen Schluss ließen der Bericht des UN-Generalsekretärs sowie Äußerungen des Büros des Technologiebeauftragten des UN-Generalsekretärs im Juni zu.

UN gefährde die Selbstverwaltung des Internets

Demnach soll künftig ein dreigliedriges Modell für die digitale Zusammenarbeit geben, dem Vertreter:innen aus dem Privatsektor, von Regierungen und der Zivilgesellschaft angehören. Die technische Community hätte dann keine eigenständige Rolle mehr inne, sondern würde der Zivilgesellschaft zugeordnet.

Ein solches Modell widerspricht aus Sicht der Autor:innen nicht nur zurückliegenden Entscheidungen und der gängigen Praxis – nicht zuletzt mit Blick auf das seit 2006 bestehende Internet Governance Forum (IGF), das ähnliche Fragestellungen wie der GDC behandelt –, sondern gefährdet auch die Selbstverwaltung des Internets. Gerade die technische Gemeinschaft sei maßgeblich verantwortlich dafür gewesen, dass sich ein einheitliches interoperables Internet herausbilden konnte, etwa indem sie Protokolle entwickelt oder zentrale Infrastrukturkomponenten pflegt. Dank dieser Struktur habe sich die Zahl der Internetnutzer:innen seit dem Jahr 2005 auf aktuell mehr als fünf Milliarden Menschen verfünffachen können, so die Autor:innen.

Dieses Wachstum belege, dass die bestehende Internet-Governance erfolgreich sei und ein robustes Internet fördere. ICANN, APNIC und ARIN plädieren daher dafür, die technische Gemeinschaft weiter als eigenständige Stimme in der Internetverwaltung jenseits der Zivilgesellschaft einzubeziehen.

Eine Änderung mit potentiell „katastrophalen Folgen“

Auch Elina Eickstädt, Sprecherin des Chaos Computer Clubs, zeigt sich besorgt. „Der GDC droht eine ernsthafte Gefahr für die Internet-Governance zu werden, wie wir sie kennen“, sagt Eickstädt. „Dies kann katastrophale Folgen für die Resilienz des Internets haben.“ Die technische Gemeinschaft verfüge zweifelsohne über viel Einfluss. „Allerdings ermöglicht die politische Neutralität der Tech-Community eine globale Standardisierung, die tendenziell unabhängig von geopolitischen Interessen und Konflikten erfolgt“, so die CCC-Sprecherin.

Tatsächlich ist die derzeitige Selbstverwaltung des Internets Staaten wie Russland und China schon seit längerem ein Dorn im Auge. Sie hätten gerne mehr Kontrolle über das globale Netz. Verlöre die technische Gemeinschaft an Einfluss, könnte dies derlei Bestrebungen in die Hände spielen, befürchtet Friederike von Franqué, Referentin für EU und internationale Politik bei Wikimedia Deutschland. „Wir begrüßen die Idee, mehr gesellschaftliche Beteiligung in die Verwaltung des Internets einzubringen. Der Ansatz, die technische Community der Zivilgesellschaft zuzuordnen, schwächt diese jedoch in ihrer Funktion als eigenständiger Akteur mit spezifischer Expertise zur Selbstverwaltung des Internets. Wir beobachten gespannt, ob und wie sich andere Organisationen der technischen Internet-Community positionieren werden”, so von Franqué.

Von deren Positionierung wird auch abhängen, ob der GDC am Ende Russland in die Hände spielt. Putins Regime verfügt über ausreichend Ressourcen und verfolgt mit Blick auf die Internet-Governance – nicht erst seit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine – eine ganz eigene politische Agenda bei der Verwaltung des Internets. Das allein sollte ausreichen, um die UN und deren Generalsekretär António Guterres zu alarmieren.

Auf eine Presseanfrage von netzpolitik.org hat das Büro des Technologiebeauftragten des UN-Generalsekretärs bislang nicht reagiert.

3 Ergänzungen

  1. Das ist eben eine Manifestation der neuen Weltsicht: neutrale Technik wird verachtet; es zählt nur noch das was sich politisch und wirtschaftlich mit der Technik anstellen lässt. Für die „Zivilgesellschaft“ wird der Katzentisch aufgestellt.

  2. typo: […] bis September 2015 war die Organisation 2015 dem US-Handelsministerium unterstellt. […]

    einmal 2015 zuviel? :)

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